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Die drei unnützen Dinge

 

Herr K., ein angesehener Mann aus der Schweiz, hatte seinen einzigen Sohn, der zu nichts wirklich zu gebrauchen schien, auf die Kunstakademie zu einem angesehenen Meister in die Lehre geschickt, auf dass er wenigstens das künstlerische Handwerk erlerne. Nach seinem ersten Studienjahr fragte der Vater den Sohn, der zu Besuch war: „Sag mir, was hast du gelernt in der langen Zeit deiner Abwesenheit?“

Der Student sagte stolz:“ Wir haben aus Erde verschiedene Dinge geformt!“

Als der Vater dies hörte und die erbärmlichen Ergebnisse sah sagte er: „Du scheinst wirklich zu nichts zu gebrauchen und du willst mein Sohn sein!“ und er schickte ihn ein weiteres Jahr in die Obhut des Meisters. Als er nach Ablauf des zweiten Jahres wieder in die Schweiz kam fragte der Vater erneut: „Was hast du gelernt?“ und der Sohn erzählte es ihm: „Ich habe jeden Tag eine Zeichnung gemacht!“ Als der Vater dies hörte schöpfte er Hoffnung, dass der Sohn vielleicht doch noch seinen Weg gehen würde und ließ sich die Zeichnungen zeigen. „Da ist ja auf allen dasselbe darauf, du taugst wirklich zu gar nichts!“ entfuhr es dem Vater und er schickte ihn erneut weg.

Nach dem dritten Jahr kehrte Lukas erneut in die Schweiz zurück, denn er hatte seine Ausbildung nun abgeschlossen. Der Vater verlangte auch diesmal Auskunft über die Studienergebnisse und sein Sohn erzählte nicht ohne Stolz: „Wir haben Wasser gefroren und Skulpturen daraus geschnitzt!“ Da der Sohn jedoch nicht einmal Fotografien davon hatte und die Skulpturen längst geschmolzen waren, schrie der Vater ihn an: „Verschwinde aus meinen Augen du Nichtsnutz und komm ja nicht wieder zurück!“

So machte sich Lukas auf den Weg und zog durchs Land. Seine erste Anstellung fand er in einer Töpferei, wo er sich mit den Worten „Ich habe ein Jahr mit Ton gearbeitet!“ vorstellte. Als er jedoch an der elektronischen Töpferscheibe gleichmäßige Gefäße formen sollte, scheiterte er kläglich und die Tonklumpen flogen nur so durch die Werkstatt. Unter lautem Gelächter der Angestellten wurde er davongejagt.

Erst ein Jahr später fand er in einem Grafik-Betrieb wieder Arbeit, wo er sich mit den Worten „Ich habe ein Jahr graphisch gearbeitet!“ vorstellte. Der junge Mann war aber durch die schnell wechselnden Aufgaben maßlos überfordert und verschwand noch ehe sein Vorgesetzter ihn rausschmeißen konnte.

Nach zwei Jahren Suche, in denen er sich gerade so über Wasser halten konnte, fand er wieder eine Anstellung. In einem Kühlhaus musste er für wenig Lohn schwere Eisklötze stapeln. Doch er war der körperlichen Arbeit nicht gewachsen und als sein Chef ihn dabei erwischte wie er in einer Ecke des Kühlhauses einen Eisklotz mit einem Messer bearbeitete und merkwürdige Figuren daraus formte, schrie er ihn an und warf ihm sein Werkzeug hinterher.

So zog Lukas noch eine Zeit lang durchs Land bis er eines Tages nicht weiter konnte und erschöpft an einer Hauswand zusammenbrach. Als er wieder zu sich kam rappelte er sich auf und schaute sich um. Das Haus an dem er gelegen hatte schien verfallen und unbewohnt und so trat er ein. „Hier werde ich mich niederlassen!“ sprach er zu sich selbst „Ich bin des Umherziehens müde.“ So lebte er zurückgezogen in ärmlichsten Verhältnissen in dem verlassenen Haus und nahm die Tätigkeiten, die ihm beigebracht worden waren wieder auf.

Zu der Zeit begab es sich, dass eine schreckliche Krankheit das ganze Land befiel. Die ganze Arbeit, die verrichtet werden musste, besorgten zunehmend Maschinen. Die Menschen hatten den ganzen Tag frei. Sie langweilten sich schrecklich und wussten nichts mit sich anzufangen. Selbst die Nahrungsmittelherstellung und Zubereitung hatten Maschinen übernommen. Die zwischenmenschlichen Kontakte, bis hin zu Liebesbeziehungen waren größtenteils ebenfalls durch Maschinen und künstliche Intelligenzen ersetzt worden. Die Menschen hingen nur noch herum. Immer häufiger kam es zu sinnlosen Gewalttaten und Ausbrüchen aufgestauter Aggression. Die Langeweile legte sich wie eine Krankheit über das ganze Land. Die Menschen, die das Land regierten, langweilten sich auch und sahen, dass es so nicht weiterging.

Als sie durch Zufall von einem jungen Mann erfuhren, der abseits der Gesellschaft in einem verlassenen Haus lebte und sich laut Berichten den ganzen Tag mit merkwürdigen Dingen beschäftigte und sich kein bisschen zu langweilen schien, schickten sie sofort Leute, um diesen Mann herzuholen. So musste Lukas vor die hohen Herren treten und von seinem Leben erzählen. Nachdem die Herren sich überzeugt hatten, dass dieser junge Mann wirklich keiner sinnvollen Tätigkeit nachging und trotzdem kein bisschen unter Langeweile litt, wurde er fortan zum Berater der Regierung und Hoffnungsträger im Kampf gegen die große Krankheit. So wurde auf den Rat von Lukas hin allen Menschen im Land eine dreijährige Ausbildung verordnet, wie auch Lukas sie genossen hatte. Denn das leuchtete auch den hohen Herren ein, die Langeweile konnte nicht an einem Tag überwunden werden. So wurden Schulen eingerichtet, wo Lukas mit Gehilfen, die ihm zur Hand gingen, die neuen Maßnahmen in die Tat umsetzte. So kam es, dass auch sein Vater, gezeichnet von der Langeweile, sich in einem der Kurse, die allerorts als Rettung angepriesen wurden, einfand. Der fand sich nur äußerst mühsam zurecht, kam ihm der Unterricht doch zu stupide vor. Aus seinem Ärger wurde blanke Wut, als er am nächsten Tag der Verleihung der Ehrendoktorwürde seines Sohnes beiwohnte. Er erkannte seinen Sohn nach all den Jahren zwar nicht wieder, aber dass ein junger Mann, der augenscheinlich nichts konnte, so geehrt wurde, widerstrebte ihm zutiefst.

So musste er mitansehen wie dieser im Auditorium der Schule vor einer riesigen Menschenmenge zum Professor für Langeweile ernannt wurde und ihm der Ehrendoktortitel für unnütze Dinge verliehen wurde. Sein Gähnen im Augenblick der Urkundenverleihung wurde von der ganzen Menge, die die neue Lehre schon verinnerlicht hatte, frenetisch beklatscht und die Figur, die Lukas aus der Urkunde, die er erhalten hatte, noch vor Ort, vor aller Augen faltete, wurde noch lange bestaunt und später in einer Vitrine im Eingangsbereich der Schule ausgestellt. Diese Geschichten verbreiteten sich schnell im ganzen Land und der Ruhm seiner Lehre wuchs unaufhörlich und die Menschen kamen in seine Schulen und eiferten seinem Beispiel nach. Im hohen Alter gab Lukas selbst diese Tätigkeiten auf. Sein Leben war fortan ein einziges Schauen und Staunen.

Nachtrag:

Jahre später fand man in seiner einfachen Klause einen vergilbten Zettel. Dort stand geschrieben:

Ich möchte euch einen Rat geben und mir damit denselben, zu mancher Zeit da braucht man sie - tragikomische Helden.

Gewillt sich eine Blöße zu geben und alles zu ertragen, werden sie uns, wenn die Zeit es will, um Längen überragen. 

     

Marc von Criegern, 

Düsseldorf, 2023